28.06.23
Allgemein

Das war die Netzwerkveranstaltung 1/23: "Den Strukturwandel beschleunigen und gerecht gestalten" vom 14. Juni 2023

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Energiewende und Energiekrise, vorgezogener Kohleausstieg im Rheinischen Revier und der damit verbundene Druck auf die anderen Reviere – das sind nur einige der Herausforderungen, vor denen die Kohleregionen aktuell stehen. Diese Entwicklungen werfen zweifellos Fragen auf: Welche Fortschritte gibt es im Strukturwandel der Kohlereviere zu verzeichnen? Wie sieht es mit der Entwicklung Guter Arbeit aus? Sind die regionalen Akteure vor Ort an den Entscheidungen beteiligt? An welchen Stellschrauben muss jetzt gedreht werden, damit der Strukturwandel – gemeinsam und gerecht – gelingt? Diese und weitere Fragen waren Gegenstand der Debatte der dritten digitalen Netzwerkveranstaltung der Revierwende am 14. Juni 2023. Rund 90 Teilnehmende, darunter zahlreichen Expert*innen und Praktiker*innen aus den Revieren und der Bundesebene diskutierten im Rahmen der dreistündigen Veranstaltung über den Stand der Strukturentwicklung der Kohleregionen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Nadine Lindner (Deutschlandradio Hauptstadtstudio).

Zu Beginn der Netzwerkveranstaltung stellte Stefan Körzell (Bundesvorstandsmitglied des DGB) klar, dass wir nach wie vor mit vielen gleichzeitigen Krisen konfrontiert sind und es – trotz der Wirkung der Energiepreisbremsen – sowohl durch die anhaltende Inflation als auch durch das Vorziehen des Kohleausstiegs im Rheinischen Revier eine große Verunsicherung bei den Beschäftigten gibt. Zwar hat die Landesregierung NRW die richtige Absicht, neben dem Kohleausstieg auch die Strukturentwicklung zu beschleunigen. Allerdings fällt die Arbeitsplatzbilanz der letzten drei Jahre durchwachsen aus. Neue Arbeitsplätze, auch in der Industrie, sind die „harte Währung des Strukturwandels“. Vor diesem Hintergrund ist es mit Blick auf die anderen Reviere und den Druck auch dort früher auszusteigen nicht hilfreich, über Jahreszahlen zu sprechen. Das schmälert nur die Akzeptanz der Energiewende und treibt die Menschen in die Arme von Rechtsextremen – ein Jahr vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg. Es ist daher richtig, endlich strukturpolitische Fragen in den Vordergrund zu stellen und mit Optimismus in eine Einstiegsdebatte zu kommen. Daher die Veranstaltung der Revierwende.

Wie wird der bisherige Aufbau von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen im Rheinischen Revier bewertet? Was müsste passieren, damit neue und vor allem Gute Arbeit entsteht? Welche konkrete Unterstützung bräuchte es dafür vom Land NRW und vom Bund?  Diese und weitere Fragen diskutierten Anja Weber (Vorsitzende des DGB NRW), Dr. Rafael L’Hoest (Unterabteilungsleiter Struktur- und Regionalpolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz), sowie Jürgen Steinmetz (Hauptgeschäftsführer der IHK Mittlerer Niederrhein) in der anschließenden Podiumsdiskussion. Einig sind sich Anja Weber und Jürgen Steinmetz in der Bewertung des bisherigen Strukturwandels im Rheinischen Revier: Die Bilanz fällt v.a. mit Blick auf den Aufbau neuer Arbeitsplätze auf Fachkraftniveau und auf die bisherige Geschwindigkeit, mit der Projekte angestoßen werden, ernüchternd aus. Die Gefahr besteht, dass Viele zurückgelassen werden, die dann auch die Region verlassen und nie wieder zurückkehren. Mit Blick auf den Fachkräftemangel kann sich die Region eine solche Zukunft nicht leisten. Da das Strukturstärkungsgesetz keine direkte Unternehmensförderung zulässt ist es – gerade beim Vorziehen des Kohleausstiegs um acht Jahre – entscheidend, dass der Bund mit einer investiven Förderrichtlinie nachsteuert. Denn am Aufbau neuer Arbeitsplätze und Wertschöpfung – vor dem Ende der Kohle – muss sich die Politik messen lassen. Rafael L’Hoest betonte, dass Strukturentwicklung Zeit braucht. Gleichwohl ist das Urteil der regionalen Ebene für das Bundeswirtschaftsministerium sehr bedeutend und der Austausch bzw. die Kooperation auch mit den Gewerkschaften und dem Projekt Revierwende sehr willkommen. Auch das BMWK habe die Herausforderung der direkten Unternehmensförderung erkannt und arbeitet an vielen Stellen (u.a. auch auf europäischer Ebene) an der Frage, wie die Strukturhilfen besser, d.h. für den Aufbau neuer Arbeitsplätze eingesetzt werden können. Denkbar sind z.B. eine Reform des Strukturstärkungsgesetzes, oder ein Sonderprogramm für die Kohleregionen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Regionale Wirtschaftsförderung (GRW). Bei letzterem müssten allerdings alle Bundesländer im Konsens zustimmen. Zur Beschleunigung des Strukturwandels will die Bundesregierung zudem die Themen Planungsbeschleunigung, sowie die Flexibilisierung der Förderperioden angehen. Zum Abschluss des Panels betonte Anja Weber, dass es bei der Ausgestaltung einer Bundesförderrichtlinie entscheidend ist, diese auch an Kriterien Guter Arbeit auszurichten. Fördermittel dürfen nur für mitbestimmte Unternehmen mit tariflicher oder tarifgleicher Bezahlung fließen. Denn auch der Staat trägt eine Verantwortung dafür, dass die Transformation demokratisch, ökologisch und sozial gelingt. Jürgen Steinmetz wies zum Schluss darauf hin, dass die enormen Herausforderungen beim Kohleausstieg 2030 nur durch die Kooperation aller beteiligten Akteure vor Ort gelingen kann. Vorbild dafür ist sowohl die „Kohlekommission“ als auch der kürzlich geschlossene „Reviervertrag 2.0“ im Rheinischen Revier.

Im anschließenden Zukunftsszenario stellte Achim Truger als einer der fünf Wirtschaftsweisen Erfolgsbedingungen für einen gelungenen Strukturwandel der Kohleregionen vor. Ausgehend vom Jahr 2050 und der Vision, dass die Kohleregionen auch dann noch wirtschaftlich boomende und lebenswerte Regionen sind, ist es entscheidend, dass die sozial-ökologische Transformation gemeinsam, planvoll und schrittweise angegangen wird. Statt radikaler Strukturbrüche braucht es aufeinander aufbauende Maßnahmen, um auch die breite Akzeptanz der Menschen sicherzustellen. Dabei müssen die Zivilgesellschaft und besonders auch die Gewerkschaften vor Ort in lokalen Bündnissen an konkreten Lösungen arbeiten. Entscheidende staatliche Aufgabe ist es, für Verteilungsgerechtigkeit im Sinne des Grundsatzes „starke Schultern tragen mehr“ sorgen. Dazu gehört auch die Solidarität zwischen allen staatlichen Ebenen, d.h. Kommunen, Ländern und Bundesebene. Denn in den tiefgreifenden aktuellen und zukünftigen Transformationsprozessen können die Gewinnerregionen von heute die abgehängten Regionen von morgen sein. Es braucht zudem eine deutlich aktivere Rolle des Staates mit einem guten Mix an günstigen Rahmenbedingungen (Infrastruktur, effiziente Verwaltung, Aus- und Weiterbildungssystem) und einer gezielten Förderung, insbesondere für strategisch wichtige Sektoren der Energiewende.

Im anschließenden zweiten Diskussionspanel wurde die Situation der ostdeutschen Reviere vor dem Hintergrund der Entscheidung in NRW diskutiert: Welche Sicherheit brauchen die Menschen in den Betrieben und den Kohleregionen? Wie wird der bisherige Strukturwandel in den Revieren bewertet? Wie könnte die Umsetzung der Strukturmaßnahmen sinnvoll beschleunigt werden, um Gute Arbeit und Wertschöpfung schneller zu ermöglichen? Diese und weitere Fragen diskutierten Daniela Kolbe (stv. Vorsitzende des DGB Sachsen), Anika Meinhard (Sachgebietsleiterin Wirtschaftsentwicklung für die Stabsstelle Strukturwandel, Regionalplanung & Breitbandausbau im Burgenlandkreis) und Lars Katzmarek (Betriebsrat LEAG und Revierbotschafter der Lausitz) mit mehreren Teilnehmenden aus dem Publikum. Einig waren sich die drei Panelist*innen darin, dass der Strukturwandel insbesondere durch die Strukturförderung und der damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten eine große Chance für die Regionen ist. Vielerorts gibt es schon gute Projekte, die in Zukunft auf Wertschöpfung und Arbeitsplätze für die Menschen vor Ort einzahlen werden. Leuchttürme hierfür sind z.B. der Industriepark Zeitz, das interkommunale Gewerbegebiet in Weißenfels, das Neue Instandhaltungswerk der Deutschen Bahn in Cottbus oder das Deutsche Zentrum für Astrophysik in Görlitz. Allerdings besteht in den ostdeutschen Revieren, ähnlich wie im Rheinischen Revier die Problematik, dass – nicht nur wegen der eingeschränkten Möglichkeit der Unternehmensförderung – noch zu wenig berufliche Perspektiven für die Menschen geschaffen werden, die „mit den Händen arbeiten“, seien es Industriemechaniker*innen, Mechatroniker*innen oder Elektriker*innen. Auch haben insbesondere größere Projektideen einen langen zeitlichen Vorlauf, denn abgesehen von den z.T. langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren dauert es mitunter Jahre, bis sich in einem Gewerbegebiet nennenswert Unternehmen ansiedeln. Deshalb nehmen die Menschen vor Ort auch nicht wahr, dass ihre Region strukturpolitisch vorankommt. Das ist vor allem mit Blick auf die Diskussion um ein Vorziehen des Kohleausstiegs im Osten brisant, da dies viel Verunsicherung erzeugt. Gerade mit Blick auf die z.T. bitteren Wendeerfahrungen brauchen die Menschen aber Verlässlichkeit. Daniela Kolbe betonte, dass der sich verschärfende Fachkräftemangel in der Lausitz kein Argument ist, eine De-Industrialisierung der Region zuzulassen. Gut bezahlte industrielle Wertschöpfung wird für die sozial-ökologische Transformation dringend gebraucht. Ein Beispiel dafür ist die Bahnindustrie, ohne die keine grüne Verkehrswende zu machen ist. Angesprochen auf den sich beschleunigenden Klimawandel merkte Daniela Kolbe zudem an, dass es in der Klimapolitik viel mehr Kraft erfordert, gegen den Widerstand der Menschen zu arbeiten, was letztendlich dem Klima nichts nutzt. Klimapolitik muss sozial befriedet werden, ein Musterbeispiel dafür ist die Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung. Lars Katzmarek forderte von den politischen Entscheidungsträger*innen, großskalierte Projekte im Bereich Erneuerbare Energien, wie z.B. die „Gigawattfactory“ der LEAG, stärker in den Blick zu nehmen und vorhandene Flächen zu nutzen. Denn damit könnte einerseits grüner Wasserstoff und die gesamte nachfolgende Wertschöpfungskette, wie z.B. grünes Aluminium oder grüner Stahl in die Region gebracht werden. Andererseits braucht die Region grundlastfähigen Strom und dafür vor allem auch neue Netze und Speicher. Dies ist insbesondere deshalb von Bedeutung, da die Lausitz keinen Atomstrom aus dem direkten europäischen Ausland beziehen kann. Anika Meinhard forderte die Landesregierungen auf, die Möglichkeit der direkten Unternehmensförderung des Just Transition Fund (JTF) schnellstmöglich zu nutzen. Die Umsetzung der JTF-Förderprogramme stockt in vielen Bundesländern, es gibt aber keine Zeit zu verlieren. In Sachsen-Anhalt können zudem seit sechs Monaten keine Projekte eingereicht werden, da die Förderrichtlinie überarbeitet wird – bis 2026 müssen aber die Fördergelder der ersten Förderperiode ausgegeben sein.

Zum Abschluss stelle Nadine Lindner die Ergebnisse der zwischenzeitlich eingeblendeten Mentimeter-Umfrage vor. Gefragt wurden die Teilnehmenden nach ihrer Bewertung des Strukturwandels in ihrer jeweiligen Region. Es zeigt sich, dass zwar eine große Mehrheit der Befragten den Strukturwandel als „schlecht“ oder „eher schlecht“ bewerten. Allerdings sind sie trotz allem überwiegend optimistisch, dass noch Gestaltungsspielraum besteht und der Wandel in Zukunft gelingen kann. Gefragt nach dem Aspekt, den die jeweilige Region im Strukturwandel am dringendsten braucht, hoben die Befragten überwiegend die Themen Planungssicherheit, Gute Arbeit und Beteiligung hervor. Die Ergebnisse der Mentimeter Umfrage finden Sie hier zum Download.

 

Was bleibt ist die Erkenntnis, dass ein gerechter Strukturwandel von Verlässlichkeit, Kooperation und gemeinsamen Austausch geprägt ist. Ein rein durch den Markt gesteuerter Strukturbruch hätte fatale Folgen, sowohl für das Klima als auch für den sozialen Zusammenhalt. Die Menschen in den Revieren brauchen gute beruflich Perspektiven und müssen mit Ihren Projekten und Ideen gesehen werden. Die bisherige Strukturentwicklungsbilanz in den Kohleregionen fällt z.T. ernüchternd aus. Gleichwohl sind die Menschen vor Ort optimistisch, den Wandel noch in ihrem Sinne gestalten zu können. Diesen Optimismus muss Politik und Verwaltung auf allen Ebenen nutzen und gemeinsam mit den Beschäftigten gute Zukunftsperspektiven entwickeln.

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