Sowohl im Rahmen der Energiewende als auch bei einer Reihe von weiteren Industrien spielt der zukünftige Einsatz von Wasserstoff eine Schlüsselrolle. Forschungsobjekt, Technologietreiber, Rohstoff und Energieträger zugleich, weckt Wasserstoff auf vielen Ebenen Begehrlichkeiten. Auch die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag das Ziel formuliert, Deutschland schnell zu einem Leitmarkt für Wasserstoff zu machen. Gemeinsam mit Expert*innen haben wir in diesem Forum praktische Beispiele aktueller und zukünftiger Einsatzfelder beleuchtet. Dabei sprachen wir u.a. über die Beschäftigungswirkung von Wasserstoff, den damit verbundenen Qualifikationsanforderungen und den Beitrag von Gewerkschaften und Betriebsräten beim Einsatz von Wasserstofftechnologien. Es sprachen Dr. Christoph Mühlhaus vom Wasserstoffnetzwerk Hypos e.V. , Dr. Marc Bovenschulte vom Institut für Innovation und Technik Berlin und Projektleiter strategische Vorausschau im BMAS, sowie Felix Fleckenstein, Projektleiter Niedersächsisches Wasserstoffnetzwerk (DGB/Arbeit und Leben Niedersachsen) unter Moderation unseres Kollegen Daniel Menning vom Revierwendebüro Pegau.
Sicherheit, Akzeptanz, Wirtschaftlichkeit
In seinem Beitrag wies Dr. Mühlhaus auf die Erfahrungen aus dem Mitteldeutschen Wasserstoffnetzwerk hin, wo etwa 10 % des deutschen Wasserstoffbedarfs erzeugt und verbraucht werden. Aufgrund dieser Mengen wird dort auch eine Wasserstoffpipeline unterhalten. In der Region wurden eine Vielzahl an Projekten durchgeführt, immer unter Berücksichtigung dreier Querschnittskriterien: Sicherheit, Akzeptanz und Wirtschaftlichkeit. Beteiligt waren anteilig Großunternehmen, KMU und Forschungseinrichtungen. Die Ergebnisse flossen zuletzt in einen „Wasserstoffatlas“ ein. Zentral für ihn ist die Frage der jeweiligen industriellen Anwendung von Wasserstoff. Dies sei auch essenziell für die Folgen eines Kohleausstiegs, wenn es z.B. um benötigte kohlenstoffbasierte Rohstoffe für die Industrie geht.
Vorsorgende Transformationsgemeinschaften
Dr. Bovenschulte zeigte sich einleitend erfreut, dass die Frage von Aus- und Weiterbildung für die Wasserstoffökonomie sich in den letzten zwei Jahren deutlich zum positiven gewendet hat. Auf den Punkt gebracht sprach er von aktuell zu beobachtenden Gleichzeitigkeit mehrerer im Entstehen befindlicher Prozesse: Technologien, Geschäftsmodelle, Regulierungen und Qualifikationsanforderungen. Benötigt würden Fähigkeiten für die Herstellung von technischen Systemen und Anlagen zur Produktion, Speicherung, Verteilung und Nutzung von grünem Wasserstoff und die damit verbundene Systemintegration; zudem für Betrieb und Wartung. Für Beschäftigte in der Braunkohleindustrie sagte Bovenschulte eindeutig: „Die Beschäftigten haben hier viel zu bieten.“ Beim Übergang zu neuen Stellen und Technologien in der Wasserstoffökonomie käme es darauf an, nicht nur akademische Angebote zu machen, sondern auch Einstiege mit „Grundwissen Wasserstoff“ für Beschäftigte (20-30 Stunden). Für bestehende Berufsbilder könnten H2-Zusatzqualifikationen etwa bei Elektroniker und Mechatroniker angeboten werden, wie es die Berufsbildende Schule Sonnenberg in Thüringen anbietet. Abschließend wies er darauf hin, dass Qualitätsstandards unbedingt parallel zu technischen Standards entwickelt werden müssten.
Wasserstoff als gewerkschaftliches Handlungsfeld
Auch Felix Fleckenstein wies auf die Bedeutung von Wasserstoff als unverzichtbarer Baustein einer klimaneutralen Industrie, sowie auf das Nebeneinander verschiedener Prozesse hin. Er ergänzte den Beitrag Bovenschultes darum, dass Qualifikationsbedarfe jeweils abhängig von der jeweiligen Branche seien. Während er keinen Bedarf für ein spezialisiertes Berufsbild „H2-Techniker*in“ o.ä. feststellt, sieht er ebenfalls den Bedarf an Zusatzqualifikationen für bestehende Berufsbilder. Hierbei müssen insbesondere für KMU niedrigschwellige Angebote entwickelt werden. Für Gewerkschaften und Betriebsräte bietet Wasserstoff zusätzliche Handlungsfelder. Klimatransformation als Inhalt gewerkschaftlicher Bildungsarbeit müsse mehr Aufmerksamkeit bekommen, genauso wie Betriebsräten in Transformationsprozessen, z.B. ein neues Marktumfeld große Bedeutung zukommt. Im Handlungsfeld Beschäftigung und Qualifikation gebe es auf vielen Ebenen noch Leerstellen, die von Gewerkschaften und Mitbestimmungsgremien proaktiv gefüllt werden können.
Ausblick
Einführung und Ausbau von Wasserstofftechnologien, -ausbildungen und -märkten werden uns im Strukturwandel weiter begleiten. Dabei gibt es absehbar noch viele offene Fragen, jedoch auch eine hohes Beschäftigungspotential (800.000 Arbeitsplätze bis 2050). Für Gewerkschaften und Betriebsräte gibt es eine Reihe von wichtigen Anknüpfungspunkten für gewerkschaftliche Kernforderungen bei Berufsausbildung, Industriepolitik und Weiterentwicklung von Mitbestimmung.
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